Ob neue Materialien, verbesserte Routen, komplexe Optimierungsprobleme oder ultraeffizientes maschinelles Lernen: Quantencomputer sollen Probleme lösen, an denen herkömmliche Supercomputer scheitern. Als quantenmechanisches Universalwerkzeug bieten sie Forschung, Industrie und Wirtschaft enorme Chancen. Doch noch hat diese spannende Technologie den Sprung von der Grundlagenforschung in die Anwendung nicht ganz geschafft. Die DLR Quantencomputing-Initiative wird das ändern: Gemeinsam mit Industrie, Wirtschaft, Start-ups und Forschung entwickelt sie prototypische Quantencomputer sowie die dafür notwendigen Technologien und Anwendungen. Die ersten Projekte sind bereits gestartet.
aus DLRmagazin 173 von Felix Knoke
Als der unscheinbare Transporter am DLR-Innovationszentrum in Ulm vorfährt, deutet kaum etwas darauf hin, dass hier gerade Geschichte geschrieben wird. Die Luke öffnet sich und gibt den Blick auf eine spärlich beladene Pritsche frei: Palette und Palettenheber, ein bisschen Krimskrams und irgendwo rechts ein in Folie gewickelter Kasten im Format eines Kühlschranks.
Tatsächlich ist dieser vermeintliche Kühlschrank ein Quantencomputer. Das Leipziger Start-up XeedQ hat ihn für die DLR Quantencomputing Initiative (DLR QCI) gebaut. Er ist ein kleines System mit vier Qubits und einem etwas sperrigen Namen: XQ1i. Es ist das erste Gerät seiner Art. Zwar kann XQ1i noch keine ernsthaften Probleme lösen, dafür verschafft es DLR-Forschungsteams jedoch erste Erfahrungen mit echter Quantencomputing-Hardware – und damit einen Vorsprung, sobald größere, komplexere Maschinen zur Verfügung stehen.
„Als DLR Quantencomputing-Initiative sind wir dafür angetreten, Quantencomputern den Weg von der Grundlagenforschung in die industrielle Anwendung zu ebnen“, sagt Robert Axmann, Leiter der DLR QCI. „Das geht nicht von heute auf morgen. Und noch immer gibt es viele Herausforderungen bei der Entwicklung der notwendigen Technologien und strukturellen Voraussetzungen, bis Quantencomputer in der Breite kommerziell genutzt werden können.“
Technologietransfer an zwei Standorten
Für einen effektiven Technologietransfer hat das DLR zwei Innovationszentren an den Standorten Ulm und Hamburg etabliert. Dort stehen den beauftragten Firmen und Forschungsteams Reinräume, Büros, Werkstätten und Labore zur Verfügung. Vor allem aber treffen hier DLR-Forschungsprojekte, Industrie, die Gründerszene und zukünftige Anwenderinnen und Anwender von Quantencomputing zusammen. Und indem das DLR Infrastrukturen und Kompetenzen bündelt, können Deeptech-Start-ups ohne eigene Labore und Fertigungsanlagen sich entwickeln und eigene Hardware sowie eigene Technologien auf industriellem Niveau fertigen. Die im Rahmen der DLR Quantencomputing-Initiative aufgebauten Quantencomputer stehen schließlich über eine Quantencomputing-Plattform den DLR-Instituten und interessierten Kooperationspartnern zur Verfügung. Mit dieser engen Anbindung von Forschung und Wissenschaft an Industrie und Wirtschaft unterstützt das DLR das Ziel der Bundesregierung, Deutschland und Europa an eine internationale Spitzenposition zu bringen und diese zu festigen. Das DLR beauftragt Komplettsysteme, die es selbst nutzen kann, und ermöglicht Start-ups gleichzeitig, ihre Ideen zur Marktreife zu entwickeln. Das geistige Eigentum, das dabei entsteht, verbleibt beim DLR. Damit wird eine strategische Weiterentwicklung dieser Technologien in Europa möglich, ohne dass die Gefahr besteht, dass Know-how ins Ausland abfließt.
Deswegen ist die Lieferung des XQ1i auch ein wichtiger Meilenstein für das DLR. Unabhängig von fremden Quantenressourcen und völlig selbstbestimmt können DLR-Forschende direkt mit den Qubits des XQ1i interagieren, sie messen, verändern und zu Rechenoperationen verschalten. „Das sind experimentelle Erfahrungen, die man am Simulator nicht machen kann“, sagt Robert Axmann. „Damit werden unsere Forschungsteams zukünftige, viel komplexere Quantencomputer dieser Art für ihre Forschungs- und Entwicklungsarbeit nutzen können.“
Ein enormes Potenzial für Unternehmen und Forschung
„Quantencomputer bieten enorme Chancen für Unternehmen und Forschung“, sagt Karla Loida, Projektleiterin Hardware bei der DLR QCI. „Aber noch ist völlig unklar, welcher technologische Ansatz das Rennen machen wird.“ Anstatt sich auf eine Technologie zur Verwirklichung von Quantencomputern festzulegen, setzt die DLR QCI deshalb auf Vielfalt: „Der XQ1i von XeedQ ist eines von derzeit zwölf Hardware-Projekten, die wir bei Start-ups und Industrieunternehmen in Auftrag gegeben haben“, sagt Karla Loida. Gemeinsam mit DLR-Forschungsteams entwickeln diese Unternehmen an den DLR-Innovationszentren in Hamburg und Ulm Quantencomputer mit unterschiedlichen technologischen Grundlagen. Dazu arbeiten gut zwei Dutzend Forschungsteams des DLR an weiterer Hardware sowie Software und weiteren Anwendungen für den Einsatz von Quantencomputern in Forschung, Industrie und Wirtschaft. „Indem wir uns technologisch so breit aufstellen und vom Zulieferer bis zur Anwendung die gesamte Wertschöpfungskette mitdenken, stärkt die DLR QCI das ganze Spektrum an Know-how im deutschen Ökosystem Quantencomputing.“
So entsteht in Hamburg ein Schwerpunkt für die industrielle Fertigung und Nutzung von Quantencomputern auf Basis von Ionenfallen. In Ulm stehen hingegen Qubits aus NV-Zentren, Neutralatomen und photonischen Systemen im Fokus.
Auf dem Weg vom Transporter zum Labor im DLR-Innovationszentrum muss der XQ1i jedoch zunächst einige Hindernisse überwinden: Mit gemeinsamen Kräften bugsieren XeedQ-Gründer Gopi Balasubramanian und das Hardware-Team der QCI den schweren Rechner in einen Personenaufzug. Der XQ1i ist ein robustes System, das auch bei Raumtemperatur und nach einer Ruckelfahrt noch funktioniert. Das unterscheidet ihn von anderen Ansätzen für das Quantencomputing, die zum Beispiel riesige Kühlanlagen oder komplexe Steuer- und Messeinheiten benötigen. Im DLR-Innovationszentrum Ulm hat das Team von XeedQ im zweiten Stock bereits ein Büro bezogen.
Von dort aus wird XeedQ mit zwei Firmen am Standort Ulm zusammenarbeiten, die sogenannte Enabling-Technologien bereitstellen: Hilfsmittel, die für die Entwicklung des Ökosystems Quantencomputing nötig sind. Das Start-up Diatope aus Ummendorf bei Ulm stellt beispielsweise spezielle Diamanten für NV-Zentren-Quantencomputer her. Und Advanced Quantum entwickelt im Rahmen der DLR QCI eine Analyseplattform zur Qualitätssicherung von solchen Diamant-Qubits. Mithilfe der Expertise beider Unternehmen möchte XeedQ ihre NV-Zentren-Plattform auf eine industrietaugliche Größe ausbauen. Für Firmen wie XeedQ – aber auch SaxonQ, die ebenfalls einen mobilen NV-Zentren-Quantencomputer für die DLR QCI entwickeln –, bedeutet das nicht nur eine technologische Weiterentwicklung, sondern auch Unabhängigkeit: Quantentechnologien sind noch so neu, dass manche Bausteine bisher nur von einem einzigen Zulieferer zur Verfügung stehen: eine Abhängigkeit, die einem souveränen Hardware-Zugriff der deutschen Hightech-Branche entgegensteht.
Gemeinsam zum Ökosystem Quantencomputing
In Deutschland herrschen hervorragende Voraussetzungen für einen Durchbruch des Quantencomputings: Es gibt eine starke akademische Quantenforschung, hoch technologisierte mittelständische Zulieferfirmen, eine Großindustrie in forschungsintensiven Branchen und eine Deeptech-Start-up-Szene, die den Technologietransfer von der Spitzenforschung in die Anwendung vorantreibt. Außerdem nimmt die Politik das Thema ernst: Zum Beispiel wird die DLR QCI, die im Mai 2021 startete, durch Mittel des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz finanziert. 80 Prozent der Gelder fließen in die Industrie, 20 Prozent der Mittel setzt das DLR für eigene Forschungs- und Entwicklungsarbeiten ein. Damit Quantencomputing aus Deutschland ein Erfolg wird, muss all das in einem lebendigen Ökosystem zusammengefügt werden: Gute Ideen aus der Forschung, die von einer innovativen Start-up-Szene in Produkte umgesetzt werden, sind das eine. Auf der anderen Seite braucht es aber auch Anwendungsfälle in Industrie und Wirtschaft, um aus guten Ideen gute Geschäftsmodelle zu machen. Diese Brücke zu schlagen, ist die Aufgabe der Innovationszentren. „Deshalb ist uns der direkte Austausch vor Ort so ausgesprochen wichtig“, sagt Kathrin Höppner, die Leiterin des Innovationszentrums Ulm. „Durch die enge Zusammenarbeit von Forschung, Entwicklung, Zulieferindustrie und Anwendungen unterstützen wir nicht nur Innovation, sondern schaffen auch die Strukturen für eine nachhaltige Entwicklung von konkurrenzfähigen Quantencomputern mit Know-how und Wertschöpfungsketten, die in Deutschland verbleiben.“
Noch ist unklar, welcher Ansatz – oder welche Kombination aus Ansätzen – einmal das Quantencomputer-Rennen machen wird. Vielleicht ist es gerade nicht der gigantische, schillernde Quantencomputer, sondern ein kleines System, das einmal als vermeintlicher Kühlschrank auf einer Transporterpritsche seine Karriere als gute Idee begann.